Samstag, 23. April 2011

REISE INS MORGENLAND 1. Teil

Ein hundsmiserabel schlechter Artikel über Bombay, von einer genauso hochnäsigen wie oberflächlichen Journalistin der Süddeutschen Zeitung geschrieben und dort auch glatt diese Woche im Magazin veröffentlicht... hat mich dermassen verärgert, dass ich nun die Tagebücher meiner ersten Indienreise aus dem Schrank hole.


Dienstag 20. Dezember 1983  - Transit in Damaskus

Die syrische Organisation ist auch nicht gerade das Gelbe vom Ei. Vielleicht ist es schwerer die Buchstaben von rechts nach links zu lesen – jedenfalls hat der Jumbo nach Bombay 17 Überbuchungen. Resultat: Wir sitzen hier in einer von Benzin durchdünsteten Affenhitze im Flieger fest und warten darauf, dass sich das Problem löst. Jetzt schmeißen sie irgendwie aussortiert 17 bereits angeschnallte Passagiere raus. Das ist nicht die leichteste Prozedur, denn das Gepäck dieser aufmaulenden Leute steht schon längst unter den mindestens 500 Koffern im Gepäckraum. Also muss das alles wieder raus und die 17 müssen ihre Koffer raus suchen, dann wird alles wieder eingeladen. Bin ja mächtig gespannt, wie lange das dauert. Na, jetzt sind sie wenigstens auf die glorreiche Idee gekommen, kurz vor der Vergasung die Klimaanlage an zuwerfen.

Frühmorgens

Von nun an überfliege ich sozusagen östliches Neuland. 1972 kam ich bis Persien, dem Land der fliegenden Teppiche, wo im Traumdekor des Schah Abbas Hotels in Isfahan meine Ehe spektakulär zusammen krachte. Damals, mit Abstand das unglücklichste und verwirrteste Wesen des Universums, hätte ich es mir nicht mal im Traum vorstellen können, dass ich ein paar Jahre später überglücklich hoch über Persien mit einer neuer Liebe im Herzen gen Indien fliegen würde.

Wir haben  einen Fensterplatz ergattert und als ich nach kurzem Dösen die Augen aufmachte, traute ich ihnen kaum:  der ganze Flügel des Jumbos war in metallen-lachsfarbenes Licht getaucht. So schnell wurde es mir noch nie Tag. Aus stockfinsterer Nacht war  plötzlich ein knallroter Streifen am Horizont aufgetaucht, wuchs in leuchtendes Orange wechselnd in eine lavendelfarbene Stufe vor dem nachtblauen Himmel und schon kam die Sonne hoch und nun, nicht mal drei Minuten später ist heller Tag.

Bombay – 21 Dezember

Gelandet und ausgeflippt. Das ist wohl die unbeschreiblichste Stadt auf dem Planeten – nein, es kam mir vor, als sei ich auf einem anderen Planeten gelandet. Im klapprigen gelbschwarzen Taxi mit geöffneten Fenstern endlos lange unterwegs durch Bombays Vororte. Die Strasse gesäumt mit einem schier unübersehbaren Meer ärmlichster Hütten aus grau-schwarzen Hadern – dazwischen tanzten unglaublich farbenfrohe Stoffe an Wäscheleinen Schleiertänze im Wind. Am Strassenrand eine Baustelle. Arbeiterinnen in wundervoll drapierten Saris trugen anmutig wie Königinnen keine Krone auf dem Kopf, sondern hohe Stapel von Bausteinen. Daneben verrichteten Männer ganz ungeniert mit nacktem Hintern ihre Notdurft im Strassengraben, während andere über einer kleinen Feuerstelle eine Mahlzeit zubereiteten. Und um alles herum tobte mit einem Höllenlärm der Verkehr, Millionen von Rikschas, Motorrollern, klapprigen, hochbeladenen Holzkarren, manche von Menschen gezogen, andere von Ochsen mit rotbemalten Hörnern und Fetzen sämtlicher Gerüche Asiens flogen im heissen Fahrtenwind durch ein Fenster des Taxi's herein und beim anderen wieder hinaus. 

Dann beginnen meist verwahrloste Jugenstilbauten die Strasse zu säumen, aus einigen wachsen in den Ritzen im Mauerwerk der früher mal prächtigen Fassaden Bäume, andere werden gerade renoviert und auf den abenteuerlich wackeligen, aus Bambusstangen zusammengeschusterten Baugerüsten turnen ganz lässig die Arbeiter herum, das würde  einem perfekten westlichen Ingenieur glatt den Verstand verlieren lassen. 

22. Dezember
War völlig fertig von der langen Reise und den überwältigenden Eindrücken am ersten Tag. Gestern abend waren wir noch kurz am Chowpatty-Beach. Dort treffen sich die Bombayer nach Sonnenuntergang, um ein paar Brisen kühlerer Luft zu geniessen. Manche rollen sich in ihre Decken zur Nachtruhe ein, andere sitzen diskutierend im Kreise oder verspeisen scharfe Köstlichkeiten aus den bunten Essensständen unter niedrigen, breigefächerten Bäumen. Dazwischen spielende Kinder, Bettler und Gaukler. Die ganze Szenerie in diffuses Licht getaucht, so als hätte man einen Sepia-Filter vor Augen. Wir setzen uns irgendwohin in den Sand und gleich waren in weisse Tücher gewickelte Masseure zurStelle:

"Footmassage?" 
"Headmassage?"

Wir nahmen sie alle. Meiner schüttete  mir völlig unvermutet erst mal  eine halbe Flasche Öl über den Kopf  und fing an in meinen langen Haaren herum zu fuhrwerken und meine Kopfhaut aufs heftigste zu bearbeiten - ich dachte kurz, oh je, wie ich jetzt dann ausschaue mit verwirrten, öligen Haaren - aber das tat unglaublich gut,  so gab ich mich hin. Am Schluss packte er  dann meinen Kopf fest in beide Hände und drehte ihn mit einem heftigen Ruck nach rechts, Dieu, das krachte vielleicht im Gebälk, und bevor ich mich von der Überraschung erholt hatte, drehte er ihn mit dem selben Ruck nach links, das knackte und krachte so laut, dass alle um uns herum zu lachen anfingen und ich glaubte, mein letztes Stündchen habe geschlagen. Aber hinterher fühlte ich,  dass alle Müdigkeit und Anspannung wie weggewischt waren.

PARVATIS SPIEGEL - SYMBOL DER ILLUSION

Auf dem Heimweg sah ich aus dem Taxifenster jede Menge merkwürdige längliche graue Pakete auf den Bürgersteigen liegen und erst beim näheren Hinschauen erkannte ich dann die Umrisse menschlicher Körper, die dort auf der Strasse schliefen. Sie hatten sich so in ihre Decken oder Laken eingewickel, dass nicht einmal der Kopf heraus schaute.  Wie sie unter den Decken atmen können ist ein indisches Mysterium.
Auf dem vierspurigen Overfly heim nach Worli seaface lenkte der Taxifahrer seinen Wagen ganz sachte um eine weisse Kuh, sie zu stören wäre ein Sakrileg. Die hatte es sich mitten auf der Straße gemütlich gemacht, zusammengerollt und schlief friedlich. Wir dann auch, wie die Steine, unter dem an der Decke befestigten Ventilator, gegen dessen Windzug die Moskitos keine Chance hatten an den bayrischen Festtagsbraten heran zu kommen.

Bombay – 23 Dezember 1983

Wir wohnen bei Glens Schwester June, die mit ihrem Mann und zwei kleinen Töchtern in einer geräumigen Drei-Zimmerwohnung im 2 Stock eines drei Etagenhauses ganz nahe an der Strandpromenade von Bombays Stadtviertel Worli-Seaface lebt.
Es waren merkwürdig rythmisch schlagende Geräusche, die mich im Morgengrauen aufweckten. Ich schlüpfte sachte aus dem Bett, um Glen nicht zu wecken, zog mir schnell etwas über und lief auf den Balkon. Unten im Hof bog ein alter Mann um die Ecke, er trug einen dicken Holzstock und schlug mit dem bei jedem vierten Schritt laut auf den Betonfußboden. Hmmm - merkwürdiges Ritual. Glen erklärte mir später, das sei der Gurkha, ein nepalesischer Nachtwächter und sein Klopfen hören etwaige Räuber schon von Weitem und machen sich gleich ängstlich aus dem Staub, denn die Gurkhas,  früher Söldner in englischen Kriegen, sind bekannt für ihre legendäre Tapferkeit.
Im Haus gegenüber auf der selben Etage waren zwei langbezopfte Inderinnen in ihrer Küche mit Tee kochen beschäftigt, neugierig von einer flinken Krähe beobachtet, die vor dem schmiede-eisernen Gitter auf der Fensterbrüstung auf und ab trippelte und manchmal zeternd ihren Schnabel durch die Gitterstäbe streckte. Also wenn die Katzen und Hunde der Stadt meist ziemlich klapprig und verhungernd ausschauen, die quicklebendigen Krähen mit blitzblankem Gefieder machen einen äusserst gesunden Eindruck.
A propos Krähen - dazu muss ich gleich vom Malabar Hill erzählen. Dort oben lebt die Creme der Gesellschaft Bombays mit Blick auf den Chowpatty-Beach und das Halsband der Königin, wie man den Kilometerlangen Marine-Drive- Bogen entlang des arabischen Meers auch nennt, der Nachts im Glanz der vielen Strassenlampen wie eine lange Perlenkette aussieht.
Umso verwunderlicher die Nachbarschaft dort: auf der höchsten Stelle des Hügels stehen sie neben der Parkanlage der hängenden Gärten in dem grössten bewaldeten Gebiet der Millionenstadt verstreut: Die sieben von Geheimnissen um witterten Türme des Schweigens der Parsen. In ihnen überlässt diese uralte Religionsgemeinschaft aus Persien um den Propheten Zaratustra ihre Toten den Geiern und Krähen zum Fraß.
Schon der Gedanke schickt einem die Grusel-Schauer über die Seele – obwohl bei Licht betrachtet ist es wahrscheinlich völlig egal ist, ob einen hinterher die Würmer oder die Krähen fressen... 

 Später, am Gateway von India neben dem berühmten Prunkbau des Taj Mahal- Hotels, kamen sie dann an, Horden kleiner, schmutziger Bettelkinder – einer hatte sich rote Farbe auf den Fuss gemalt, zog weinerliche Grimassen und streckte die Hand nach einem Bakschisch aus. Ich zwinkerte ihm zu, dass ich ihn durchschaut habe. Da guckte er erst ein wenig zweifelnd, dann lachte er lauthals und sprang davon.
Glen kaufte mir eine Tüte mit frisch gerösteten Nüssen – all die kleinen schmutzigen Händchen taten sich rings um mich auf und ich teilte die Nüsse mit ihnen – am Schluss hatte ich noch drei winzige zum selber probieren. Dann bestiegen wir eines der bunten Holzschiffe und fuhren auf die Bombay vorgelagerte Insel Elefanta.

Dort haben Hindu-Priester im 6. oder 7. Jahrhundert Höhlen in den Berg geschlagen und dann herrliche, überdimensionale Statuen der indischen Götterwelt hineingemeisselt. Die meisten sind schwer beschädigt, weil die portugiesischen Soldaten im 18. Jahrhundert ausgerechnet diese herrlichen Höhlen als Exerzierplatz benützten und wahllos durch die Gegend ballerten. Wieviele Geschosse in das Bein von Shiva, dem Schöpfer  des Universums, bis es abfiel? Wieviele  in die Arme von Parvati, seiner Gemahlin? Wirklich entsetzlich, was die Menschen so alles anrichten. Eine Führerin erklärte uns die Symbole, die die Götter in ihren Händen haben. Eines davon fand ich äusserst  interessant - Parvati hält einen Spiegel: der symbolisiert die Illusion.  
Richtig - das hatte ich noch nie entdeckt, denn wenn ich mich im Spiegel anschaue, was ich später zuhause auch sofort ausprobierte,  dann  ist mein rechtes Auge auch rechts, wenn ich mir jedoch ein Gegenüber, zum Beispiel Glen, betrachte, ist sein rechtes Auge von mir aus gesehen auf der linken Seite - und das bedeutet, dass uns andere Menschen nie so sehen wie wir  im Spiegel ausschauen. Auch auf Photografien sehe ich mein rechtes Auge auf der linken Seite....

 
Es dauert sicher ein Weilchen, bis ich den Kulturschock einigermaßen überwunden habe. Eines jedoch weiß ich schon jetzt: wer Bombay nicht gesehen hat, versteht wenig vom Leben auf diesem Planeten. 

Im kleinen Park vor dem Gateway of India, einem massiven Torbogen, extra für die Ankunft von Queen Viktoria gebaut und gerade zwecks Restaurierungsarbeiten von jenen abenteuerlichen Baugerüsten umgeben,


die würden  einem perfekten deutschen Ingenieur glatt den Verstand verlieren lassen
   steht eine Statue von Vivekananda und darunter in ein Metall-Schild geprägt:
„Die Einheit der Vielfalt ist der Plan der Natur.“ 

Fortsetzung:



5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

welch wunderbare beschreibung vom damaligen bombay. heute schlafen nur noch wenige auf den gehsteigen. danke für deine tagebuch reporte

Unknown hat gesagt…

Danke Dir Iren - Ja wo sind die denn alle hin? Haben die Wohnungen bekommen oder hat man sie vertrieben?

Stefanie Schoener hat gesagt…

Ich habe mir überlegt, was ich damals gemacht habe: TV Sendungen, die dann nicht gesendet wurden, weil sie nicht der Norm entsprachen, viele lange Reisen nach Bali, Thailand und Nicaragua und versucht, die verflossene Hippie-Ära abzulegen, damit ich nicht versäume, in der Zeit zu leben in der ich lebe. Wichtig war: nur kein abgestandener 68er zu werden!!!! Indien war ich nie (nur Durchreise) aber sehe es jetzt eben mit deinen Augen.

Unknown hat gesagt…

Das mit dem nicht der Norm entsprechen kenne ich bestens. Normal soll ja auf altgriechisch krank heissen - interessanter Gedankengang, wenns stimmt. Wenn man sich die Flügel kappen muss, damit man in die Norm passt, dann muss man ja krank werden.
Die Hippie-Ära kann man ja gar nicht ablegen, im besten Fall jedoch weiter entwickeln, denn da ist uns doch allen ein Licht aufgegangen...

Amy hat gesagt…

sehr schön, Ich mag es