Montag, 16. Juni 2014

Wie eine Glockenblume zur "Schlüsselblume" mutierte



Aquarell 32 x 25 cm

An einem der bayerischen Bilderbuchsommertage im Juni 1987  hatte ich es sehr eilig, jedoch auch das richtige Gefährt dazu. Eine Freundin hatte mir ihren tollen Sportwagen, Marke verrat ich nicht, übers Wochenende geliehen und wollte mich pünktlich um vier anrufen. Es war schon viertel vor und ich kurvte volles Rohr eine kleine Landstrasse  noch gut 25 km südlich von München entlang, als ich im vorbeihuschen ein paar ungewöhnlich grosse lavendelblaue Blumen auf einer Wiese entdeckte. Was war denn das? Vollbremsung, das musste ich sehen. Ich stieg aus und spurtete über die sattgrüne Wiese auf die Blumen zu -  ihr wundervolles  Blau  leuchtete geradezu vor dem dunklen Tannenwald.  Es waren Glockenblumen, pfirsichblättrige Waldglockenblumen und sie waren riesig. Ungläubig schaute ich sie an, jede der aufgeblühten Glocken war so gross wie meine gespreizte Hand. 3 von den fünf Stengeln pflückte ich und lief  zurück zum Wagen,  legte sie längs zwischen beide Sitze -  sie reichten fast bis zum Rückfenster-  und fuhr wie der Blitz zurück nach München. Zuhause nahm ich die Montur meiner persischen Wasserpfeife ab, sie war nichtnur dekorativ, sie war auch praktisch und liess sich im Handumdrehen in eine Vase verwandeln. Ich füllte sie mit Wasser, stellte die Blumen rein und schon klingelte das Telefon. Meine Freundin wollte abends gegen zehn das Auto abholen. So hatte ich genügend Zeit, drehte mir erst mal einen joint und setzte mich dann vor die Wunderblumen.

Eine Woge aus Gewissensbissen überrollte mich: Ja hatte ich noch alle Tasse im Schrank? Noch nie in meinem Leben hatte ich solch herrliche Blumen gesehen - wahrscheinlich auch sonst niemand auf der Welt - und ich hatte sie einfach abgepflückt! Vielleicht waren es ja die ersten Exemplare einer noch völlig neuen Art! Du lieber Himmel, was mach ich jetzt? 
Ich  entschuldigte mich aus vollem Herzen bei den Blumen und versprach ihnen, sie wenigstens zu malen. Zwar hatte ich keine Ahnung wie, aber ich holte mein Tagebuch und versuchte mich erst mal mit Kugelschreiber  an einer Skizze.

Natürlich waren sie in Natura viel, viel sanfter als meine Zeichnung - soviele zarte Schattierungen, so delikat die Blütenstempel, einfach ein Wunder in Blau und ich so dilletantisch, das Bild auch nur annähernd fest zu halten.


Skizze aus meinem Tagebuch - Juni 1988 - später hab ich sie dann mit Buntstiften versucht etwas zu verbessern.


Genau ein Jahr darauf überfiel mich out of the blue, kann man sagen, der Malrausch. Ich wollte sie malen und so mein Versprechen einlösen - konnte es aber nicht, hatte es nie gelernt. Erst versuchte ich es mit Aquarellfarben ( denen blieb ich treu) auf völlig ungeeignetem Papier. Auf die schon grün eingefärbte Wiese wollte ich dann partout ein paar weisse Margeritten setzen. Ich griff zum Deckweiss, sah gut aus, aber sobald es trocken war , sah das Grün wieder aus, als hätte ich nichts verändert. Stur, wie ich sein kann, malte ich Schicht um Schicht die Margeriten mit Deckweiss nach- immer wieder und wieder - als sie dann wirklich irgenwann schneeweiss waren, glänzten sie und sahen aus wie Ölfarbe. Aber ansonsten war ich überhaupt nicht zufrieden: die Glockenblumen leuchteten nicht, hatten längst nicht die richtige Farbe. 
Ich liess alles um mich herum stehen und liegen und malte nur noch. Tage-Wochenlang, nur Glockenblumen, bis mein Freund, sonst die Geduld in Person, mit ironischem Unterton fragte:

"Setzt Du mir demnächst auch das Abendessen gemalt vor?" 

Ohne mir dessen bewusst zu sein, ohne jemals auch nur im entferntesten daran gedacht zu haben, war ich glatt zur Malerin geworden. So gesehen, wandelte sich die Glockenblume  tatsächlich zur "Schlüsselblume".

Oh, beinahe hätte ich vergessen, die geneigten Leser /innen aufzuklären, was es nun mit diesen riesigen Blumen auf sich hatte. Nein, nein, ich hatte es nicht geträumt. Als ich nämlich später die Story meinen Freunden erzählte, erfuhr ich von einem, dass er bereits im Frühling  am Strassenrand mitten in München einen Riesen-Löwenzahn entdeckt hatte.
"Auch Deine Glockenblume ist ein Resultat der Atomkatastrophe von Tschernobyl - der hardrain war  über Bayern heftigst niedergeprasselt."

Ja sowas, das ist  - soviel ich weiss - wohl die erste Erfolgsgeschichte, die aus einem Atomunglück entstand.


 

Keine Kommentare: